Nach der langen Pause in unseren Vereinsaktivitäten führte uns am 9. Oktober der Weg nach Mannheim. Bevor wir demnächst unsere klassischen Exkursionen mit dem Bus wieder starten, versuchten wir uns am „kleinen Format“ mit niedrigem finanziellen Risiko.
Wir fuhren mit der Bahn nach Mannheim und bewegten uns dort zu Fuß und per Straßenbahn. Auf dem Weg vom Hauptbahnhof zur Kunsthalle begegneten wir mit der Straßenbahnhaltestelle am Tattersall dem ersten Denkmal aus der „Bauhausvergangenheit“ Mannheims – erbaut 1928 vom Leiter des Städtischen Hochbauamts Josef Zizler, heute zwar sehr vernachlässigt aber doch komplett, mit nur einer dezenten Erweiterung erhalten.
In einer zweistündigen Führung durch die Kunsthalle lernten wir den 2018 eröffneten Hector-Bau (Planer: gmp – von Gerkan Marg und Partner) und den 1909 eröffneten Altbau von Hermann Billings kennen – sowohl das Konzept der „Stadt in der Stadt“ mit einem jedermann kostenlos zugänglichen Forum zwischen den Ausstellungsräumen als auch die Probleme in der Bauausführung wie herabfallende oder verzogene Fassadenplatten. Themen waren auch Schwerpunkte der durch die unterschiedlichen Direktoren geprägten Sammlung wie die französische Malerei des 19. Jahrhunderts oder die Neue Sachlichkeit und einzelne Highlights wie der früh und damit noch „günstig“ erworbene „Schreiende Papst“ von Francis Bacon aus dem Jahr 1951 oder Edouard Manets lange Zeit nicht öffentlich zeigbares Monumentalbild von der Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko.
Nach der Mittagspause sahen wir uns drei zwischen 1927 und 1930 entstandene Gebäudekomplexe an, was derzeit leider nur von außen möglich war. Anhand von Fotos aus der Erbauungszeit und Ansichten vergleichbarer Gebäude gewannen wir einen Eindruck von den ehemals kühnen Architekturen, die im Stadtbild heute auf den ersten Blick eher wie Bauten der Nachkriegszeit wirken.
So etwa das ehemalige Palasthotel Mannheimer Hof in der Augustaanlage 4-6 (jetzt Leonardo Royal Hotel Mannheim), bis 1930 im Auftrag der Stadt Mannheim unmittelbar angrenzend an die üppige Architektur aus Gründerzeit und Jugendstil rund um den Wasserturm erbaut. Der Architekt Fritz Becker (1882-1973) war wie die meisten Architekten des Neuen Bauens kein Bauhäusler, sondern ausgebildet an der TU Darmstadt und der TH München, wo etwa auch Walter Gropius, Ernst May, Erich Mendelsohn oder Josef Zizler studierten.
Die dezidiert moderne Haltung entsprach der vom Mannheimer Bürgermeister Heimerich vor und nach der Zeit des Nationalsozialismus getragenen Ausrichtung an Prinzipien des Bauhauses (für dessen Ansiedlung in Mannheim es sowohl 1925 als auch nach dem Zweiten Weltkrieg erfolglose Bemühungen gab).
Auch die Neuapostolische Kirche in der Neckarstadt (Moselstraße 6-8), von dem Mannheimer Architekten Wilhelm Friedrich Würth 1929 geplant, regt den Vorübergehenden kaum zum Innehalten an. Der asymmetrisch angelegte Sakralbau wendet sich mit seinem Trakt mit Predigerwohnungen und dem 22 m hohen Turm von allen tradierten Kirchenbauformen ab. Das Nüchterne und Zweckmäßige triumphiert über die feierliche Überhöhung. Veränderungen an den Fenstern und der Außenhaut und das Entfernen einst vorhandener Balkone lassen die frühere Klarheit der Konzeption kaum noch erkennen, obwohl die Baukörper an sich nicht verändert wurden.
Ganz anders das Fröbel-Seminar im Lindenhof (Rennerhofstraße 2), das, wohl vom Bauhaus-Musterhaus „Haus am Horn“ in Weimar angeregt, 1926 von Bauamtsleiter Josef Zizler geplant wurde und als Ort für Licht und Luft im Grünen noch heute seinen Charakter bewahrt hat und nur durch ein angepasstes Nebengebäude vor einigen Jahren erweitert wurde. Als erstes Gebäude im Bauhaus-Stil in Mannheim wurde es vom Städtischen Hochbauamt für die beiden Pädagoginnen (und Schwestern) Rosa und Dora Grünbaum errichtet. Diese hatten im Jahr 1900 einen Kindergarten mit Seminarräumen zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen gegründet, der in dem neuen Gebäude Platz für 85 Kleinkinder und 200 Schülerinnen bot. 1933 wurden Rosa und Dora Grünbaum hier während des Unterrichts verhaftet und später ermordet. Während der Nazizeit wandten sich viele Architekten, wie auch Fritz Becker und Josef Zizler, schnell dem rückwärtsgewandten Heimatstil zu.