Dieter Rams und Ernst May
Im Stadtmuseum am Markt Wiesbaden hatten die Teilnehmer der Exkursion Gelegenheit, sich mit dem Werdegang des – international noch mehr als in Deutschland – bekannten Designers Dieter Rams vertraut zu machen. Rams, 1932 in Wiesbaden geboren, ist vor allem mit dem Design für die Haushaltsgeräte der Firma Braun in Kronberg bekannt geworden, aber auch mit seinen Möbelentwürfen für die Firma Vitsoe.
In einer kompetent und anschaulich vorgetragenen Führung lernten die Teilnehmer unter anderem die „Zehn Thesen“ von Dieter Rams kennen – gegen die „Unkultur des Überflusses“, schon zu Zeiten des gern so genannten Wirtschaftswunders:
- Gutes Design ist innovativ.
- Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
- Gutes Design ist ästhetisches Design.
- Gutes Design macht ein Produkt verständlich.
- Gutes Design ist ehrlich.
- Gutes Design ist unaufdringlich.
- Gutes Design ist langlebig.
- Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail.
- Gutes Design ist umweltfreundlich.
- Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.
Am Nachmittag beschäftigte sich die Gruppe mit einem etwas sperrigeren, aber ebenso hochaktuellen Thema. In der in den 1960er Jahren errichteten Siedlung „Schelmengraben“ im Wiesbadener Stadtteil Dotzheim begegnete sie dem Spätwerk von Ernst May, der 40 Jahre zuvor mit seinen Planungen zum „Neuen Frankfurt“ Geschichte gemacht hatte und nach Stationen in der UdSSR, mehreren afrikanischen Ländern, Hamburg und Mainz Stadtplaner in Wiesbaden wurde. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot setzte er dort auf eine umfangreiche Neubebauung der historischen Innenstadt (auf Kosten der alten Substanz) und den Bau von mehreren Trabantensiedlungen an den Taunushängen. Nur drei davon – das Parkfeld in Wiesbaden-Biebrich, der Schelmengraben und die Siedlung Klarenthal – wurden überhaupt umgesetzt, weil sich gegen Mays Pläne entschiedene Bürgerproteste erhoben.
Wie Ernst May seine Grundsätze „Bauen für das Existenzminimum“ und „Luft, Licht und Sonne für alle“ konkret umsetzte, zeigte Petra Schwerdtner in einer rund zweieinhalbstündigen, anspruchsvollen Führung durch den Schelmengraben.
Die Kulturwissenschaftlerin Petra Schwerdtner betreibt in Frankfurt die Veranstaltungsagentur Kunstkontakt, leitet die Geschäftsstelle des Werkbundes Hessen und hat einen Lehrauftrag an der University of Applied Sciences in Frankfurt. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit der Siedlung Schelmengraben konnte sie den Teilnehmern auch viel über die Lebenswirklichkeit dort erzählen. Eine recht geringe Fluktuation und eine (nicht repräsentative) Umfrage unter den Bewohnern sprechen für eine aktuell recht hohe Zufriedenheit in der von außen eher negativ wahrgenommenen Siedlung, die erst in den letzten Jahren mit der angemessenen sozialen Infrastruktur versehen wurde – unter anderm aus Mitteln des Bund-Länder-Programms „Sozialer Zusammenhalt“. Eine der wesentlichen Forderungen von Ernst May existierte nur vorübergehend: Erst 1977 wurde eine (von drei ursprünglich vorgesehenen) Ladenzeile in der Mitte der Siedlung realisiert. Für die rund 2500 Einwohner entstand ein Geschäftszentrum unter anderem mit Bankfiliale, Schuhgeschäft und Zoohandlung, Supermarkt, Postamt und Haushaltswarenladen. Als letzter Mieter verließ vor einigen Monaten die Apotheke das Ensemble.