Sonderausstellung „Surreale Welten der 1950er Jahre“ im Museum Bensheim
Es war ein für unseren Verein ganz besonderer Tag: Am 16. Juni 2023 wäre Leo Grewenig 125 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat das Bensheimer Museum dem Künstler eine Art Geburtstagsparty ausgerichtet. In Anwesenheit vieler Freunde der Kunst Leo Grewenigs und mehrerer unserer Vereinsmitglieder – nicht zuletzt zählt ja auch der Bensheimer Museumsdirektor Dr. Jan Christoph Breitwieser dazu – wurde am Geburtstag die aktuellen Sonderausstellung eröffnet. Bürgermeisterin Christine Klein begrüßte dabei an erster Stelle unser Vorstandsmitglied, die Tochter des Künstlers Waltrud Hölscher, die den Nachlass ihres Vaters liebevoll und unermüdlich pflege. Es sei wichtig, das Werk Leo Grewenigs im Bewusstsein auch der jüngeren Bensheimer zu halten, sagte die Bürgermeisterin. Viele Arbeiten seien hier entstanden, nachdem der Künstler mit seiner Familie 1957 in die Stadt gezogen sei. Er habe nicht nur das Stadtbild geprägt, sondern darüber hinaus auch viele Schülerinnen und Schüler am Alten Kurfürstlichen Gymnasium, wo er auf Bitten des Direktors bis weit über die Pensionsgrenze hinaus Kunst unterrichtet habe. Handwerkern habe er manchmal aus Dank kleine Arbeiten geschenkt, berichtete Klein, und nicht zuletzt seien seine phantasievollen Bilder in vielen Bensheimer Wohnungen zu finden. Das größte Bild aber, das Grewenig je geschaffen habe, hänge im Bensheimer Parktheater.
Dr. Jan Christoph Breitwieser erinnerte sich an seine erste Zeit im Museum, als der damalige Leiter Manfred Berg ihm die wichtigsten Bestände zeigte und dabei Grewenig in einem Atemzug mit Kollwitz und Corinth nannte. Im Jahr 2008 habe es im Museum schon eine größere Ausstellung zu den Arbeiten der frühen Jahre gegeben. In Hinblick auf die jetzige Ausstellung mit dem Fokus auf dem Werk der 1950er-Jahre dankte der Museumsdirektor vielen Leihgebern, die die Bestände des Bensheimer Museums ergänzen. Neben dem Saarlandmuseum hätten zahlreiche private Besitzer ihre Bilder zur Verfügung gestellt, unter anderem auch unser Verein. Breitwieser dankte Waltrud Hölscher für ihr bei der Herstellung der Kontakte zu den Leihgebern maßgebliches Engagement. Unter den Anwesenden begrüßte der Museumsleiter neben Vertretern des Saarlandmuseums auch Vorstandsmitglieder der Kulturinitiative Leo Grewenig und des Museumsvereins Bensheim.
Die Einführungsrede hielt Dr. Jennifer Chrost, die als Volontärin in der Grafischen Sammlung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt an der Ausstellung „Tinten-Tiere“ beteiligt war, dort wurden im Jahr 2018 Leo Grewenigs seit 1954 entstandene Zeichnungen gezeigt, bei denen er schwarze Tusche zunächst auf den Malgrund kleckste, dann unter Einfluss des Zufalls verlaufen ließ, am Ende mit minimalen Eingriffen zur Formdeutung brachte und mit konkreten Titeln aus dem Bereich der Natur belegte – auch in der aktuellen Bensheimer Ausstellung sind vergleichbare Arbeiten zu sehen.
Eine solche Vielfalt wie die 1950er-Jahre zeige keine andere Phase im Werk des Künstlers, sagte Dr. Jennifer Chrost. Zugleich bilde sich deutlich der Übergang von der gegenständlichen Darstellung zur völligen Abstraktion ab. Es seien Jahre der Neuorientierung gewesen, im Privaten wie in der Kunst. Wie bei vielen anderen Künstlern habe der Nationalsozialismus die künstlerische Arbeit erschüttert. Hinzu sei gekommen, dass man das im Krieg Erlebte einfach nicht zur Sprache habe bringen können. Ein Ausweg aus dieser Sprachlosigkeit sei der Surrealismus gewesen.
Auf drei große, nebeneinander hängende Gouachen machte die Referentin besonders aufmerksam, die für die Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten in dieser Phase charakteristisch seien: „Verzauberte Landschaft“ (1955), „Strandbad in Fischbach am Bodensee“ (1954) und „Großer Markt in Saarlouis“ (1952). Während letzteres von einer dramatischen, geradezu unheimlichen Atmosphäre geprägt sei, stehe die Seelandschaft für einen unbeschwerten Badeurlaub. Die „Verzauberte Landschaft“ schließlich zeige eine Hinwendung zum Surrealen.
„Surreale Welten der 1950er Jahre“ ist die neue Sonderausstellung überschrieben. Etwa ein Viertel der gezeigten Bilder ist im Bensheimer Atelier entstanden.
Der zur Ausstellung erschienene Katalog zeigt Farbabbildungen der ausgestellten Bilder, die von einem Text von Professor Hans Gercke, dem ehemaligen Direktor des Heidelberger Kunstvereins, und einer Bildanalyse der Museumsmitarbeiterin Anna Raab begleitet werden.
Die Ausstellung ist noch bis zum 20. August 2023 zu sehen, jeweils donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 12 bis 18 Uhr. Am 16. Juli um 17 Uhr gibt es eine öffentliche Führung mit der Kunsthistorikerin Anna Raab. Am 20. August um 18 Uhr bietet unser Vorstandsmitglied Waltrud Hölscher einen Finissage-Rundgang an.